Andrea Gnam: Geometrie des
Umherschweifens: temporäre urbane Plastiken zwischen
Stillstand und Umbruch
Vier junge Leute sitzen, leger gekleidet, dem Betrachter den
Rücken zugewandt, auf dem Erdboden und beschäftigen
sich mit
Mitgebrachtem. Vor ihnen breitet sich eine Rasennarbe aus, am Horizont
verläuft ein noch nicht abgetragener Teil der Berliner Mauer,
man
sieht Peitschenlampen, einige Passanten. (25_BERLIN 001) Das nicht mehr
geteilte Berlin steht 1990 noch ganz am Anfang eines gewaltigen, nicht
allzu glücklich verlaufenden städtebaulichen Umbaus,
der vor
allem Finanzinteressen von Investoren zu bedienen weiss. Wird sich
dieser historische Hintergrund in den nächsten zehn Jahren, in
denen Jean Claude Mouton immer wieder die Entwicklungen und neu sich
ergebenden Ausblicke fotografiert, auf seinen Aufnahmen in Farben,
Bauformen und Stimmung widerspiegeln?
Bodenhaftung
Der Regisseur und Fotograf Wim Wenders war es, der angesichts eines
Fotobuchs von Mario Ambrosius über das von der Mauer befreite
Berlin im Winter 1990/91 sich Gedanken zur oft enttäuschenden
mentalen „Einstellung“ eines Fotografen zu seinem
Sujet
machte (Wim Wenders: The Act of Seeing. Texte und Gespräche,
1992,
S. 158). Seine Kritik geht auf eine vertraute Beobachtung
zurück:
Manch ein Fotograf, schreibt er, würde sich nach getaner
Arbeit
davonstehlen, gerade so als hätte er dem Ort mit seiner
Moment-Aufnahme nicht etwas gegeben, sondern ihm etwas weggenommen:
seine geschichtliche Bodenhaftung. Ganz im Gegenteil zu einem
Erzähler, führt er weiter aus, oder einem Maler.
Beide
Professionen ließen den Ort vor dem inneren Auge des Lesers
oder
Betrachters neu erstehen, ja, sie fügten ihm sogar noch etwas
hinzu. Wie ausgezeichnet Fotografie indes sich gerade auch dazu eignet,
die wechselnden Zustände und Veränderungen einer
städtischen Region im Bild festzuhalten, so dass sich
über
einen größeren Zeitraum hinweg verfolgen
lässt, wie
Raumaufteilung, Leerfläche, Werbetafeln und bevorzugte Farben
zu
historischen Kenngrößen des Stadtbilds werden
können,
zeigen Jean Claude Moutons Arbeiten.
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